Prof. Andreas Herrmann

Vocal Productions


Alfred Schnittke: Seid nüchtern und wachet...



Historia von D. Johann Fausten

Kantate für Kontratenor, Contralto, Tenor, Baß, gemischten Chor und Orchester »Faust-Kantate«

Eine Kantate über die Gegenwart des Bösen in der Welt.

Text (deutsch):
nach dem Volksbuch von Johann Spies »Historia von Dr. Johann Fausten« (1587)

Besetzung:
Soli (KontraT, KontraA, TB); Chor (SATB); Orchester (3 Fl.» 2 Ob., EH., Klar., BKlar.» 2 Fg., Kfg., 2 Sax., 4 Hr., 4 Trp., 4 Pos., Tub., Pk., Schlgz. (Holztr., Tamtam, Tamburin, Tomtom, Flexaton, Xylophon, Vibraphon, Marimbaphon, Glocken, Glockenspiel), E-Git., BGit., Cel., Cemb., Kl., Org., Str.)

Partitur / Verlag:
Sikorski / Universal Edition - Eine Ansichtspartitur (zum verfolgen beim Anhören) finden Sie unter diesem Link …
Aufführungsdauer ca. 35 Minuten

Sätze:
1. Prolog.
2. »Die 24 Jahre des Doktor Fausti waren vergangen...«,
3. Das Morgenmahl in Rimmlich
4. Oratio Fausti ad Studiosos,
5. »Ach, mein Herr Fauste...«,
6. Falscher Trost,
7. Nachtszene,
8. Nach Fausti Tod,
9. »Also endet sich die ganze wahrhaftige Historia und Zauberei Doktor Fausti...«
10. »Seid nüchtern und wachet..«




1. Prolog - Folget nun
2. Die vierundzwanzig Jahre
3. Gehen also miteinander … (Das Morgenmahl in Rimmlich)
4. Meine liebe …
5. Ach, mein Herr Fauste
6. Doktor Faustus klagte… (Falscher Trost)
7. Es geschah … (Nachtszene)
8. Diese gemeldete Magistri … (nach Fausti Tod)
9. Also endet sich …
10. Seid nüchtern und wachet


Entstehung

1982/83 - Als Schnittke 1983 von den Wiener Festwochen einen Kompositionsauftrag erhielt, wählte er als Grundlage für die geplante Kantate die »Historia von Dr. Johann Fausten« ein 1587 von Johann Spies in Frankfurt gedrucktes Volksbuch. Die dann 1991-1994 für die Hamburgische Staatsoper entstandene Oper beruht auf der gleichen Vorlage. Die Kantate »Seid nüchtern und wachet…« bildet deren dritten Akt und Epilog.

Uraufführung
19. Juni 1983 Wien

Besetzung
ContraT, ContraA, T, B (Soli).
SATB (Chor), Orchester

Libretto
1. Folget nun von Doctor Fausti greulichem und erschreckenden Ende,
darfür sich jedes Christenmensch zu hüten hat,
ab welchem sich jedes Christenmensch genugsam zu spiegeln und darfür zu hüten hat.

2. Die vierundzwanzig Jahre des Doctor Fausti waren vergangen
und eben in solcher Woche erschien ihm der Geist,
überantwortete ihm seinen Brief oder Verschreibung,
zeigt ihm darneben an, dass der Teufel,
auf die andre Nacht seinen Leib holen werde,
dessen sollte er sich versehen.

Doctor Faustus, der nicht anders wusste,
denn die Versprechung müsste er mit der Haut bezahlen,
geht eben an diesem Tag, da ihm der Geist angesagt.
dass der Teufel ihn holen werde,
zu seinen vertrauten Gesellen, Magistris,
Baccalaureis und anderen Studenten mehr,
die ihn zuvor oft besucht hatten.

Die bittet er. dass sie mit ihm in das Dorf Rimlich,
eine halbe Meil Wegs von Wittenberg gelegen,
spazieren und allda mit ihm eine Mahlzeit halten;
die ihm solches zusagten.

3. Gehen also miteinander dahin und essen ein Morgenmahl
mit vielen köstlichen Gerichten an Speise und Wein.
Doctor Faustus war mit ihnen fröhlich, doch
nicht aus rechtem Herzen.

Bittet sie alle wiederum, sie wollten ihm soviel
zu Gefallen sein und mit ihm zu Nacht essen,
und diese Nacht vollens bei ihm bleiben,
er müsste ihnen was wichtiges sagen.

Als nun der Schlaftrunk auch vollendet ward,
bezahlte Doctor Faustus den Wirt und bat die Studenten,
sie wollten mit ihm in eine andere Stuben gehen,
er wollte ihnen etwas sagen. Das geschah,
Doctor Faustus sagte zu ihnen also:

4. Meine liebe Vertraute und ganz günstige Herren!
Warum ich euch berufen habe, ist dies,
dass euch viele Jahre her an mir bewusst,
was ich für ein Mann war. in vielen Künsten
und Zauberei bericht, welche aber niemand anders
denn vom Teufel Herkommen. zu welcher teuflischen Lust
mich auch niemand gebracht als die böse Gesellschaft,
so mit dergleichen Stücken umging.

Darnach mein nichtswertes Fleisch und Blut,
mein halsstarriger und gottloser Wille
und fliegende teuflische Gedanken, welche
ihr mir fürgesetzt, daher ich mich dem
Teufel versprechen müssen, nämlich in
vierundzwanzig Jahren mein Leib und Seele.

Ach Faust! Ach Fauste, Fauste!

Nun sind solche Jahre bis auf diese Nacht zum Ende gelaufen,
und steht mir das Stundenglas vor Augen, dass ich
gewärtig sein muss, wann es ausläuft, und er mich diese
Nacht holen wird, dieweil ich ihm Leib und Seele zum
zweiten Mal mit meinem eignen Blut verschrieben habe.
Darum habe ich euch, freundliche, günstige, liebe Herren,
vor meinem Ende zu mir berufen und mit euch einen
Johannestrunk zum Abschied tun wollen und euch
mein Hinscheiden nicht wollen verbergen.

Bitte euch hierauf günstige, liebe Brüder und Herren,
ihr wollet alle die Meinen und die meiner im Guten gedenken,
von meinetwegen brüderlich und freundlich
grüßen, darneben mir nichts für übel halten
und wo ich euch jemals beleidigt, mir solches
herzlich zu verzeihen.

5. Ach mein Herr Fauste, was habt ihr euch geziehen,
dass ihr so lange Stilleschweigen
und solches nicht habt offenbart;
wir wollen euch durch gelehrte Theologos
aus dem Netz des Teufels errettet und
gerissen haben.

Nun aber ist es zu spät
und euerm Leib und Seel schädlich.

Doctor Faustus antwortete, er hätte es
nicht tun dürfen, ob ers schon oft
willens gehabt, sich zu gottseligen
Leuten zu tun. Rat und Hülf zu suchen.

Wie mich auch mein Nachbar angesprochen.
dass ich seiner Lehre folgen sollte,
von der Zauberei abstehen und mich bekehren.
Als ich dann dessen auch schon willens war.
kam der Teufel und wollte mit mir fort,
wie er diese Nacht tun wird.
und sagte, sobald ich die Bekehrung zu Gott
annehmen würde, wolle er mir den Garaus machen.

Als sie solches von Doctor Fausto verstanden,
sagten sie zu ihm: dieweil nun nichts anders
zu gewarten sei. sollst du Gott anrufen.
du sollst Jesus Christ anrufen.

Du sollst um Verzeihung bitten,
ihn durch seines lieben Sohnes Jesu
Christi willen um Verzeihung bitten.

Ach, Gott, sei mir armen Sünder gnädig und
gehe nicht mit mir ins Gericht,
denn ich vor dir nicht bestehen kann.

Wiewohl ich dem Teufel den Leib muss lassen,
so wolltest doch die Seele erhalten.

Ob Gott etwas wirken wollte.

Das sagte er ihnen zu. er wolle beten,
es wollte ihm aber nicht eingehen,
wie dem Kain, der auch sagte, seine
Sünden wären grösser, denn dass sie ihm
möchten verziehen werden.

Also gedachte er auch immerdar,
er hätte es mit seiner Verschreibung
zu grob gemacht.

Diese Studenten und guten Herren, als
sic Faustus gesegneten, weinten sic
und umfingen einander.

6. Doctor Faustus klagte und weinte,
also dass ihm der Geist wieder erschien,
sprach zu ihm:

Mein Fauste, sei doch nicht so kleinmütig!
Ob du schon deinen Leib verlierest,
ist doch noch lang dahin,
bis dem Gericht wird.

Du musst doch zuletzt sterben,
wenn du gleich viel hundert
Jahr lebtest.
Müssen doch die Türken, die Juden und andere
unchristliche Kaiser auch sterben und
in gleicher Verdammnis sein.
Weisst du noch nicht, was dir aufgesetzt ist.
Sei beherzt und verzage nicht so gar.
Hat dir doch der Teufel verheissen, er wolle dir
einen stählern Leib und Seele geben,
und sollst nicht leiden wie andere Verdammte.

Solchen und noch mehr Trosts gab er ihm,
doch falsch und der Heiligen Schrift zuwider.

7. Es geschah aber zwischen zwölf und ein Uhr
in dieser Nacht, dass gegen dem Haus her
ein grosser ungestümer Wind ging,
so das Haus an allen Orten umgab,
als ob es alles zugrunde gehen
und das Haus zu Boden reissen wollte.

Darob die Studenten vermeinten zu verzagen,
sprangen aus dem Bett und hüben an
einander zu trösten, wollten aus der
Kammer nicht.

Sie hörten ein greuliches Pfeifen und Zischen,
als ob das Haus voller Schlangen, Nattern und
anderer schädlichen Würmer wäre.

Indem gehet Fausti Tür auf,
der hub an zu schreien um Hülf und Mordio

aber kaum mit halber Stimme.
Bald hernach hörte man ihn nicht mehr.

Als es Tag ward, sind die Studenten
in die Stuben gegangen, sie sahen
aber keinen Faustum, nichts, denn die
Stuben voller Bluts gespritzt.
Sein Him klebte an der Wand.
weil ihn der Teufel von einer
Wand zur anderen geschlagen.

Es lagen auch seine Augen und
etliche Zähne allda ein greulich
und erschrecklich Spectacel.

Letztlich aber funden sie seinen Leib
heraußen bei dem Mist, welcher greulich
anzusehen war. denn ihm der Kopf und
alle Glieder schlotterten.

8. Diese gemeldete Magistrl und Studenten,
so bei des Fausti Tod gewest,
haben so viel erlangt, dass man ihn in
diesem Dorf begraben hat.

Darnach sind sie wiederum hinein gen
Wittenberg und in Doctor Fausti
Behausung gegangen, all da sie
seinen Famulus, den Wagner, gefunden,
der sich seines Herrn halber übel gehabe.

Es ward auch forthin in seinem Haus
so unheimlich, dass niemand darin wohnen konnte.

Doctor Faustus erschien auch seinem Famulo
leibhaftig bei der Nacht und offenbarte ihm
viel heimlicher Ding,
So hat man ihm auch bei der Nacht
zum Fenster hinaus sehen gucken,
wer vorüber gegangen ist.

9. Also endet sich die ganze wahrhaftige
Historia und Zauberei Doctor Fausti.
daraus jeder Christ zu lernen,
Gott zu fürchten. Zauberei. Beschwörung
zu fliehen, und den Teufel nicht zu
Gast zu laden, noch ihm Raum zu geben,
wie Faustus getan hat.

Gott allein zu lieben von ganzem Herzen,
allein anzubeten und dagegen dem Teufel
abzusagen und mit Christo endlich ewig
selig zu werden.

Amen, amen, das wünsche ich einem
jeden vom Grunde meines Herzens.
Amen. amen.

10. Seid nüchtern und wachet, denn euer Widersacher,
der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe
und suchet, welchen er verschlinge;
dem widerstehet fest im Glauben.


Zur Musik
Geradezu ein Gegenentwurf zu Charles Gounods Oper »Faust« ist die Besetzung von Schnittkes Kantate: Faust ist nicht Tenor, sondern Bass; Mephisto wiederum wird nicht von einem Bass, sondern von zwei Sängern höherer Stimmlagen verkörpert - einem Contratenor (Mephisto in Verkleidung) und einem Contraalt (Mephisto demaskiert). Aufs Ganze gesehen hinterlässt die Kantate, bei aller Suggestivkraft, einen etwas zwiespältigen Eindruck. Über weite Strecken ist das Werk stilistisch einheitlich gehalten; um so stärker konterkarieren die Ausnahmen diese Einheit. Als erstes sticht das herrlich einschmeichelnde, süßliche Mephisto-Arienduett (Nr. 6) heraus. Wie ein Monolith auf weiter Ebene wirkt der im Prolog bereits angedeutete Tango »Es geschah« (Nr. 7), der das »greulich und erschrecklich Spectacel« von Fausts Tod höchst eindrucksvoll vor Augen führt.

zum Inhalt
Der Kantate »Seid nüchtern und wachet ….«, der sogenannten Faust-Kantate, ging, wie Alfred Schnittke berichtet, der (unausgeführt gebliebene) Plan einer Oper über Goethes Faust II voraus, die Jurij Ljubimow (Ljubimov) der damalige Regisseur des Moskauer Tanganka-Theaters, herausbringen wollte. Für die Wiener Festwochen 1983 vertonte Schnittke dann Teile des von Johann Spies herausgegebenen Volksbuches; gleichzeitig gab Christoph von Dohnányi eine Faust-Oper für die Hamburgische Staatsoper in Auftrag. Diese Oper, gleichfalls nach dem Volksbuch und mit dem Titel Historia von D Johann Fausten, hat Schnittke 1994 vor seinem dritten Schlaganfall unter Mitarbeit seines Sohnes Andrej vollendet. Sie wurde 1995 in Hamburg uraufgeführt; die Faust-Kantate bildet hier den dritten Akt.

Die Kantate folgt einer ästhetischen Konzeption, die Schnittke 1971 in einem in Moskau gehaltenen Vortrag »Polystilistik« nannte und die mit gleichzeitigen postmodernen Tendenzen in der westlichen Welt einige Gemeinsamkeiten aufweist. Auch bei Schnittke treten Stile ganz verschiedener Epochen und unterschiedlicher Herkunft, hohe und niedere Kunst, in ein spannungsvolles Verhältnis; sie dienen bei ihm aber stets einer einheitlichen Aussage, auch einer moralischen Botschaft. Die Faust-Kantate sei, wie Schnittke sagt, »eine negative Passion«. Modell sind die Bach’schen Passionsmusiken: ein großer Einleitungs- und Schlusschor, Solo-Bass als Faust (Christus), Solotenor als Erzähler (Evangelist), Männerchor als Studenten (Jünger), Countertenor und Alt als gleichsam doppelzüngiger Mephisto; hinzu kommen kleine Choreinschübe nach Art der Bach’schen Turbae, angedeutete Secco- und Accompagnato-Rezitative, Arien und ein Duett für Mephistos ersten Auftritt. Einen stilistischen Kontrapunkt zum Passionscharakter bilden Elemente aus der Unterhaltungsmusik, die dem Bereich des Bösen zugeordnet sind. Höhepunkt und Kernstück des Werks ist ein Tango (der Bericht des Teufels, wie er Faust holt und tötet), den Schnittke als billigen Schlager mit Refrain und Background-Chor gestaltet hat, der aber zugleich in den strengen, sich stets steigernden Wiederholungen die Form einer Passacaglia besitzt. Die Verflechtung der Pole der Passion und des Schlagers - gemeint ist auch des Guten und des Bösen, des Glaubens und der Verdammnis - durchdringt alle Teile des Werks. Schon im Eingangschor »Folget nun von Doctor Fausti greulichem und erschrecklichem Ende« ist die Tango-Melodie präsent, auch im »Amen« nach Fausts Tod erklingt sie fahl im Piccolo, und selbst noch im Schlusschor »Seid nüchtern und wachet« deutet der Walzerrhythmus im Klavier auf die Sphäre des Teufels.

Es ist zu vermuten, daß Schnittke mit dem Faust-Thema zugleich eine spezifisch sowjetische Problematik reflektiert: Am Anfang ihrer Laufbahn pflegten Künstler in der Sowjetunion einen Auftrag von staatlicher Seite zu erhalten; die Erfüllung galt als Bekenntnis zum System, und sie öffnete - freilich nicht immer - den Weg für verschiedenste Begünstigungen. Schnittke hat zwei solcher Aufträge angenommen (die Kantate Lieder vom Krieg und vom Frieden, 1959, und das Orchesterstück Gedicht über den Kosmos, 1961 zu Gagarins erstem Raumflug; beide Werke tauchen im Werkverzeichnis des Komponisten nicht auf). Wenn Schnittke in der Faust-Kantate die sowjetische Variante des Paktes mitdenkt, die ihn persönlich betrifft, dann liegt es nahe, eine Parallele zwischen der Teufelsgestalt und der Sowjetmacht zu ziehen. Die schlecht gemachte, aber eigentümlich faszinierende Musik als klingende Metapher für die „Banalität des Bösen“ wäre dann zugleich ein hintergründiger Kommentar zu den Idealen sowjetischer Ästhetik.

Wirkung
Die mögliche Idee hinter dieser Zweiseitigkeit beschrieb Maria Kostakewa so: »Ein Pol der Dramaturgie ist die ewige moralische Kategorie: das christliche Ethos, das sich durch stilisierte barocke Ausdrucksmittel verkörpert. Der Gegenpol ist die Blindheit, die Zeitlosigkeit, die Aggressivität und die Gefühllosigkeit, in der die ganze Palette der sowjetischen Massen- und Subkultur exportiert wird...«

Plastisch macht Schnittke die Gegenwart des Bösen in der Welt greifbar: An den Stellen höchster Grausamkeit (bei der Hinrichtung von Faust in der Nacht-Szene) wogt die musikalische Emotion in einem Tango hoch - die Dodekaphonischen und freitonalen Passagen in den Erzählungsteilen bis dahin wirken dagegen sittsam distanziert. Ein weiteres Beispiel ist der Schluss: Man hört den "Pferdefuß", wie er in die Welt davon hinkt und vielleicht woanders, wo man es nicht erwartet zuschlagen will, man weiß nicht wo. Also: "Seid nüchtern und wachet …!"

zum Komponisten
Schnittke, Alfred
geb. 24.11.1934 in Engels, gest. 3.8.1998 in Hamburg

Wichtige Stationen:
erster Musikunterricht (Klavier) in Wien (1946-48), dann ab 1949 an der Moskauer Musikfachschule (Chordirigieren, Klavier). Seit 1953 Fortsetzung der musikalischen Ausbildung am Moskauer Konservatorium, dort 1962-72 Lehrer für Instrumentation und Komposition. Daneben als
freischaffender Komponist, bis 1984 insbesondere von Filmmusik, tätig. Seit 1989 Kompositionslehrer an der Hamburger Musikhochschule.

Weitere Werke:
Nagasaki (1958), Pesni vojny i mira (Lieder von Krieg und Frieden) (1959), Requiem zu Schillers Don Carlos (1975), Der Sonnengesang des Franz von Assisi (1976), Agnus Dei (1992).

Werkverzeichnis / Literatur:
T. Bürde: Zum Leben und Schaffen des Komponisten Alfred Schnittke, Kludenbach 1993, S. 124-137.

Schnittke selbst schreibt zu seiner Kantate:
Die Kantate „Seid nüchtern und wachet…“ entstand 1982/83 und ist gleichzeitig auch eine Vorarbeit für eine zukünftige Oper. Der Impuls dazu kam von Jurij Ljubimov, dem Regisseur des Moskauer Taganka-Theaters - seit Jahren wünschte er sich eine Oper nach dem II. Teil des Goethe-Faust, jahrelang verschoben wir die Ausführung des gefährlichen Vorhabens. Dann kam von der Konzerthausgesellschaft das Angebot, für die Wiener Singakademie anlässlich der Wiener Festwochen 1983 etwas zu schreiben. Ich wusste nichts davon, dass „Faust“ das Zentralthema der Konzerte der Wiener Festwochen 1983 ist, aber dachte gleich (durch Opernpläne vorbereitet) an das Volksbuch „Historia von Dr. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarz-künstler“, usw., usw., „gedruckt zu Frankfurt am Main durch Johann Spies MDLXXXVH“. Nach Beginn der Arbeit an der Kantate kam auch der Vorschlag des Chefdirigenten der HamburgerOper, Christoph von Dohnányi, etwas für die kleine Bühne des Hauses zu schreiben, und da war es schon ganz selbstverständlich für mich, den Spies-Faust als Librettovorlage anzubieten. Inwiefern die Kantate mit der Oper verwandt sein wird, kann man noch nicht sagen - jedenfalls wird die Oper eine andere Besetzung haben — und einen rascheren Ablaufrhythmus. Als Textvorlage der Kantate verwendete ich das letzte Kapitel des Volksbuches (mit einigen Kürzungen und Verschiebung des Mephisto-Monologs vom Anfang in die Mitte). Es ist eine negative Passion, denn es behandelt den Leidensweg eines, wenn auch nicht Anarchisten, so doch „bösen“ Christen (obwohl Spies’ Faust sagt, er „sterbe als ein böser und guter Christ“). Daher die Anlehnung an die Passionsform mit Erzähler (Tenor) - Faust (Bass) - Mephisto (doppelgesichtig bzw. -stimmig: heuchlerisch ergebener Contratenor und triumphierende tiefe weibliche Stimme) und Chor.

Video der russischen Erstaufführung (in russischer Sprache):