Prof. Andreas Herrmann

Vocal Productions


Benjamin Britten – War Requiem



Any new Requiem setting has to compete with Verdi's and Faure's and Mozart's treatment of the same words. Britten has approached the task in his own fresh and deeply felt way. It is not a Requiem to console the living; sometimes it does not even help the dead to sleep soundly. It can only disturb every living soul, for it denounces the barbarism more or less awake in mankind with all the authority that a great composer can muster. There is no doubt at all, even before next Wednesday's performance, that it is Britten's masterpiece.

Dieses Zitat stammt aus der Zeitung „The Times“, kurz vor der Uraufführung des War Requiems am 30. Mai 1962. Ort und Auftraggeber war die Coventry Cathedral, die während des Zweiten Weltkriegs zerstört und neben ihrer Ruine wieder aufgebaut wurde. Vor Kriegsausbruch im September 1939 befand sich der Brite Benjamin Britten mit seinem Freund Peter Pears, selbst Sänger, in Amerika, wo sie beide bis 1942 blieben und wirkten. Der Entschluss, noch während der Kriegsjahre nach England zurückzukehren, bedeutete für den Pazifisten Britten ein Wagnis. Dort angekommen musste er sich dem Gericht stellen, um um einen Antrag auf Kriegsverweigerung aus Gewissensgründen zu bitten. Nach Einsicht und Stattgebung des Gerichts konzertierten Britten und Pears regelmäßig bis Kriegsende gemeinsam, nach Brittens Auffassung die einzige Art und Weise, durch die er dem britischen Volk einen Dienst erweisen kann.

Dass gerade Britten den Auftrag für solch ein monumentales Werk bekam dürfte nicht weiter verwunderlich sein, da er zu dieser Zeit bereits der wahrscheinlich bekannteste und einer der meist geschätzten Komponisten Großbritanniens war. Neben dem lateinischen Requiemtext spielen auch die auf Englisch verfassten Gedichte Wilfried Owens eine große Rolle, die dem lateinischen (für europäische Hörer etwas fremder anmutenden) Text eine gewisse Intimität und Nähe verleihen. Zudem stellen sie einen greifbaren Bezug zu der Kriegsthematik dar, da Owen selbst ein Fußsoldat im ersten Weltkrieg war und in seiner Zeit dort die Gräueltaten und die Stimmung des Krieges einfing. Der voraussehende Eindruck, den die Gedichte von Zeit zu Zeit vermitteln wird vor allem dadurch unterstrichen, dass ihr Autor eine Woche vor Kriegsende – wie manche sagen würden – unnötig fiel.

Neben den bereits vergangenen Gegebenheiten des ersten und zweiten Weltkrieges, die im War Requiem Einzug erhalten, spielte sicherlich auch die Anspannung und Ungewissheit eines möglicherweise drohenden nuklearen Krieges gegen die Sowjetunion eine Rolle. Neben den Kampfflugzeugen, die während des Komponierprozesses über Brittens Kopf donnerten, spricht auch die verweigerte Einreise der russischen Sängern Galina Vishnevskayas für das angespannte Verhältnis der beiden Nationen. Britten, der die Solistenrollen der Uraufführung symbolisch mit dem britischen Tenor Peter Pears, dem deutschen Bariton Dietrich Fischer-Dieskau und der eben erwähnten russischen Sopranistin besetzt hat, konnte sich diesen Wunsch erst in der Erstaufnahme verwirklichen, für die alle Solisten anwesend sein konnten.

Die groß angelegte Besetzung des War Requiems unterteilte Britten in drei Ebenen. Sie unterschieden sich sowohl durch ihre Entfernung zum Publikum, sowie ihre verwendete Sprache. Die beiden männlichen Solisten sowie das Kammerorchester verkörpernd die Opfer des Krieges und befinden sich in nächster Nähe zum Publikum. Sie sind es auch, die die englischen Gedichttexte Owens vortragen. Bei der Uraufführung wurde sie von Britten selbst dirigiert; das große Sinfonieorchester, der Chor sowie die Sopransolistin von der zweiten Dirigentin Meredith Davis. Der Chor und die Solistin tragen den lateinischen Requiemtext vor. Die letzte Ebene bilden der Knabenchor und die Orgel, die kaum mehr von dieser Welt anmutet.
Auch wenn die Tonsprache des Orchesters zuweilen sehr direkt ist (die im Text thematisierten Schüsse und das Klirren der Patronenhülsen kann man durchaus hören), so ist im War Requiem doch immer der Pazifist Britten, der den Krieg verabscheut und die gefallenen Opfer bedauert, herauszuhören. Trotz großer Aufbauten und großer Chorpassagen kann man – vor allem bei den Gedichtpassagen – das Lamentieren und die Ablehnung gegen den Krieg heraushören.

Der Aufbau des Werkes ist wie folgt

Requiem
Langsam aufbauender Introitus
Requiem Aeternam, Te decet hymnus, Anthem of Doomed Youth (What passing-bells for these who die as cattle?), Kyrie

Dies irae
9-teilig, Mittelpunkt des Stückes, Dies irae Text abwechselnd mit den Gedichten Voices (Bugles sang), The Next War (Out there), Sonnet On Seeing a Piece of Our Artillery Brought Into Action (Be slowly lifted up), Futility (Move him into the sun)

Offertorium
Domine Jesu Christe, Sed signifer Sanctus Michael, The Parable oft the Old Men and the Young (So Abram rose), Hostias

Sanctus
Lichtblick und Ruhepunkt
Sanctus, The End (After the blast of lightning)

Agnus Dei
At a Calvary Near the Ancre (One ever hangs where sheld roads part), Agnus Dei

Libera Me
Kein originärer Bestandteil eines Requiems, nochmals großer Aufbau und Kulmination im Dies Irae Thema, unterbrochen von panischen Einschüben des Chores, Abschluss mit Owens Strange Meeting, endet in den Requiemworten: Requiescant in pace. Amen.
Libera me, Strange Meeting (It seemed that out of battle I escaped), In paradisum

Quellen zum War Requiem und Benjamin Britten lassen sich finden unter:
http://www.warrequiem.org/ (Website der Britten-Pears-Foundation).
Hier lässt sich auch die Aufnahme des War Requiems finden, versehen mit vielen Zusatzinformationen und Interviewmaterial.


Text:
Missa pro defunctis (lateinisch) und Wilfred Owen (englisch)

Besetzung: S, T, Bar (Soli), Chor SATB bis SSAATTBB, 2st. Knabenchor, Orgel, großes Orchester, Kammerorchester, Perkussion (4 Spieler)

Verlag: Boosey & Hawkes

Aufführungsdauer ca. 90 min

Zusammenstellung Carina Heeg