Prof. Andreas Herrmann

Vocal Productions


Hugo Distler


Geistliche Chormusik op.12



1. Der Komponist:
Hugo Distler lebte von 1908 bis 1942 wo er sich am 1. November in Berlin das Leben nahm. Als deutscher Komponist und evangelischer Kirchenmusiker spielte er eine entscheidende Rolle in der Erneuerungsbewegung der evangelischen Kirchenmusik nach 1920. Distler wuchs in Nürnberg größtenteils bei seinen Großeltern mütterlicherseits auf, nachdem seine Eltern sich getrennt und kein wirkliches Interesse mehr für das Kind Hugo gezeigt hatten. Seine Großeltern kümmerten sich - trotz weniger Mittel - gut um ihren Enkel, ermöglichten ihm eine gute Bildung und Klavierunterricht. Durch die Inflation und den Tod der Großmutter 1925 wurden die finanziellen Verhältnisse prekärer und Carl Dupont unterrichtete Distler schließlich unentgeltlich weiter. 1927 begann Distler sein Studium am Leipziger Landeskonservatorium für Musik, 3 Jahre später starb auch der Großvater, der trotz großer Armut das Studium finanziert hatte und Distler musste abbrechen und sich eine Arbeit suchen.
Am 1. Januar 1931 trat er schließlich eine Organistenstelle an der Lübecker Jakobikirche an.

Inspiriert durch Axel Werner Kühl - der später allerdings Mitglied in der NSDAP war und auch Distler schließlich dazu drängte, der wiederum rein aus taktischen Gründen beitrat -, Pastor an St. Jakobi und engagierter Streiter für die Anliegen der Liturgischen Bewegung, komponierte Distler 1931/32 seinen Jahrkreis op. 5, eine Sammlung von 52 kleinen geistlichen Chormusiken. Im Herbst 1931 vollendete er seine Deutsche Choralmesse, die der Lübecker Sing- und Spielkreis unter der Leitung von Bruno Grusnick am 4. Oktober 1931 zur Uraufführung brachte. 1932 folgten seine Choralpassion op. 7, seine Kleine Adventsmusik op. 4 und seine Orgelpartita Nun komm, der Heiden Heiland op. 8,1. In Lübeck entstand der größte Teil seiner Geistlichen Chormusik op. 12 und dort lernte er auch seine spätere Frau, Waltraut Thienhaus (1911–1998), kennen. (Zit.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Distler)

Ab der „Machergreifung“ im Mai 1933 wurde Distlers musikalisches Schaffen durch die Nationalsozialisten erschwert. Distlers großer Wunsch war es zeitlebens, ganz für seine Kunst leben zu können und seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch eigene Kompositionen bestreiten zu können. So versuchte er anfangs noch, einen Weg zu finden um frei komponieren und gleichzeitig aufführen zu dürfen - so entlehnte er zum Beispiel Schlagworte aus dem Wortschatz der Herrschenden doch in ungewohnter Lesart - doch seine Ablehnung gegen - und Verfolgung durch das Regime wuchs zunehmend und sodass er nach Erhalt des sechsten Gestellungsbefehls (5 mal konnte er sie abwenden) den Freitod wählte.

Distler war nach Lübeck als Dozent für Chorleitung und Formenlehre an der Stuttgarter Hochschule und zuletzt als Professor für Chorleitung, Tonsatz, Komposition und Orgelspiel an der Berliner Hochschule für Musik tätig und hatte die Leitung mehrerer Chöre inne.
Sein Hauptwerk umfasst geistliche und weltliche Chormusik, daneben auch Kammermusik und Orgelwerke.

2. Stiltypische Merkmale der Kompositionen: (zit.:
Wikipedia)
Seine Vokalkompositionen erwachsen aus sanglichen, am menschlichen Atem orientierten Melodien, deren tonales Material oft aus modalen Tonleitern oder der Pentatonik entnommen ist.

Die abwechslungsreiche Rhythmik lehnt sich an Vorbilder aus Renaissance und Barock an, gestattet sich aber deutlich größere Freiheiten, die sich in Taktwechseln und häufigen Schwerpunktverschiebungen zeigen. Aus der Kombination metrisch und rhythmisch gegensätzlicher Einzelstimmen ergibt sich oft ein lebendiges polyphones und polyrhythmisches Geflecht.

Imitatorische Satztypen in Anlehnung an barocke Vorbilder sind häufig, wobei Distler enge Lagen und Stimmkreuzungen bevorzugt und so Klangwirkungen von sensibler Schlichtheit bis zu dramatischer Ausdruckskraft erreicht. Dabei ergeben sich neuartige Zusammenklänge, die stellenweise nur noch aus der horizontalen Stimmführung erklärbar, im Detail aber nicht mehr funktional deutbar sind.

Ein bedeutender Aspekt seiner Kompositionstätigkeit ist die musikalische Ausdeutung des Wortes. So schreibt er in seinem Aufsatz „Vom Geiste der neuen Evangelischen Chormusik“ 1935: „In der neuen deutschen Chormusik […] gewinnt das Wort eine neue und höhere Leibhaftigkeit, da wird der Wortgestaltung und -bändigung mit Besessenheit nachgegangen …“


3. Geistliche Chormusik op.12

3.1. Inhalt:
(Unter den Verlinkungen finden sich die Notendateien als PDFs)

1. Singet dem Herrn ein neues Lied
2. Totentanz
3. Wach auf, du deutsches Reich
4. Singet frisch und wohlgemuth
5. Ich wollt', daß ich daheime wär
6. Wachet auf ruft uns die Stimme
7. In der Welt habt ihr Angst
8. Das ist je gewißlich wahr
9. Fürwahr, er trug unsere Krankheit

3.2. Entstehungsgeschichte - Übersicht der Motetten
(zitiert nach Quelle: https://homepage-andreas-schneidewind.webnode.com/_files/200000006-2bbdc2cb7c/Diplomarbeit.pdf)

Für die Entstehung der Motetten der Geistlichen Chormusik lassen sich zwei Zeitabschnitte unterscheiden: ihr größter Teil, nämlich die ersten sieben , entstand ab 1934 in Lübeck, wo Distler seit 1. Januar
1931 als Organist, seit April desselben Jahres außerdem als Kantor an der St. Jakobi-Kirche wirkte. Später komponiert und dem Zyklus als Nr. 8 u. 9 hinzugefügt sind die beiden Motetten „Das ist je gewißlich wahr“ und „Fürwahr, er trug unsere Krankheit“, beide nach 1937 während seiner Lehrtätigkeit in Berlin entstanden und 1941 im Druck erschienen. Diese beiden Motetten waren ursprünglich als
Rahmenchöre für eine Johannes-Passion bestimmt, deren Komposition Distler aber nicht weiter verfolgt hat. Die beiden Motetten „Ich wollt, daß ich daheime wär“ und „In der Welt habt ihr Angst“ komponierte Distler aus persönlichen Anlässen (letztere beim Tod seiner Schwiegermutter).
Die Bedingungen, die Distler in Lübeck vorfand, waren für die Komposition vokaler Kirchenmusik her- vorragend. Seine Intention, Kirchenmusik mit ausschließlich liturgischer Bestimmung zu schreiben, fiel sowohl bei Axel Werner Kühl (seit 1928 Pastor an St. Jakobi) als auch bei Bruno Grusnick (Leiter des „Lübecker Sing- und Spielkreises“) auf fruchtbaren Boden. Beide waren als Michaelsbrüder Verfechter der Liturgischen Erneuerungsbewegung, die sich von der Kirchenmusik der Romantik (autonome Kunstwerke, gefühlsbetont) distanzierte und für eine Musik im Dienst der Kirche einsetzte. Der Komponist hatte sich nach den Vorstellungen der Bewegung den Forderungen der Kirche unterzuordnen und die Musik in den Dienst von Verkündigung und Anbetung zu stellen. „Jede geregelte Kirchenmusik setzt ... liturgische Ordnung voraus ...“ .
Des weiteren ermöglichte der 1929 durch Bruno Grusnick gegründete „Lübecker Sing- und Spielkreis“ Distler die Aufführung seiner Werke unmittelbar nach ihrer Entstehung und somit eine wertvolle Kontrollmöglichkeit mit einem Chor als Klangkörper.
So entstand über Jahre hinweg eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Distler als Komponist,
Entsprechend dem liturgischen Bestimmungsort der Motetten in den Musikalischen Vespern entstanden
zwei unterschiedliche Motettenformen: die Schriftwort-Motette als „Verkündigung und musikalische
Auslegung des Schriftwortes“ (statt einer Lesung) und die Choralmotette (meist nach einer Lesung).

Eine formale Ausnahme stellt hierbei der „Totentanz“ dar, bei dem neben die kurzen Spruchvertonungen
Daß Hugo Distler seine Sammlung mit „Geistliche Chormusik“ betitelt, ist deutliches Zeichen dafür, wie sehr Heinrich Schütz für diese Motetten - letztlich für sein gesamtes geistliches Vokalwerk - Vorbildcharakter hat, sicher nicht zuletzt wegen der ausschließlichen Ausrichtung der Musik auf den Gottesdienst.
Es folgt eine tabellarische Übersicht, die über Bestimmung, Quelle des Textes, Gattung, Form und Besetzung der einzelnen Motetten Auskunft gibt.

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