Prof. Andreas Herrmann

Vocal Productions


Krzysztof Penderecki


Passio et mors domini nostri Jesu Christi secundum lucam – Die Lukaspassion



Text:
Auf die Frage, warum Penderecki (1933-2020) sich für das dritte Evangelium entschieden habe, antwortete er: „Nicht nur aus literarischen Gründen und wegen der besonders schönen Sprache, sondern weil nach Matthäus und Johannes bereits zwei außergewöhnlich gute Passionen komponiert worden sind.“
Penderecki entnahm für sein Werk nicht nur Texte aus dem Lukas-Evangelium: Zusammengefasst verwendete er zehn Passagen aus dem Lukas-Evangelium, drei Abschnitte aus dem Johannes-Evangelium, Fragmente aus dem Alten Testament, aus einigen Psalmen, aus den Klageliedern des Jeremia und aus dem Hymnus „Vexilla regis prodeunt“, den Improperia, dem „Pange lingua“ und der Sequenz „Stabat mater“
In der Partitur ist vom Komponisten speziell vermerkt, dass das Werk nur in lateinischer Sprache aufgeführt werden darf.


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Besetzung:
Knabenchor, 3 gemischte Chöre, 4 Flöten, Bassklarinette, 2 Altsaxophone, 3 Fagotti, Kontrafagott, 6 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, 4 Pauken + große Trommel, 6 Tom-toms, 2 Bongos und weitere Percussion, Kleine Trommel, 4 blochhi di legno (Holzblöcke), Ratsche, Guiro, Claves, 4 Becken, 2 Tam-Tam, 2 Gongs, Glocke, Vibrafon, Harfe, Pianoforte, Harmonium, Orgel, Sopran, Bariton, Bass, Sprecher, 24 Violinen, 10 Bratschen, 10 Celli, 8 Kontrabässe

Partitur / Verlag:
Moeck Verlag, Aufführungsdauer ca. 80 Minuten

Uraufführung
Das Werk – eine Auftragskomposition des Westdeutschen Rundfunks anlässlich der 700-Jahrfeier des Doms zu Münster – wurde bei seiner dortigen Welturaufführung am 30. März 1966 zu einem großen Erfolg für Penderecki. Bei einer Pressekonferenz am Tag vor dem Konzert erläuterte Penderecki seine Beweggründe:
„Die Passion ist das Leiden und der Tod Christi, aber auch das Leiden und der Tod von Auschwitz, die tragische Erfahrung der Menschheit aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. In diesem Sinne soll sie nach meinen Absichten und Gefühlen universellen, humanistischen Charakter wie ‚Threnos – Den Opfern von Hiroshima‘ haben.“

Zur Musik
Vokalsatz:
In der Lukaspassion spielen die Chöre unterschiedliche Rollen. Zum einen übernehmen sie die Funktion der Volksmenge (turbae), zum anderen begleiten sie den gesprochenen Text des Evangelisten oder übernehmen sogar dessen Aufgaben. Oftmals werden die Vokalstimmen verwendet, um instrumentale Klänge zu verwenden. Spott und Schläge, Hohngelächter und Pfiffe sind nicht nur Gegenstand der Betrachtung, sie werden von den Chören real ausgeführt:
- Bocca chiusa – Singen mit geschlossenem Mund (Summen)
- Imitation des Klanges gezupfter Saiten (pizzicato)
- Pfeifen
- Singen ausschließlich auf Konsonanten (Perkussionslaute)
- Singen ausschließlich auf Vokale (Klangfarbenmelodie)
- Gleitklänge (glissandi)

Orchester:
Penderecki benutzt das riesige Orchester nie im Tutti. Das Klavier wird grundsätzlich nur als Schlaginstrument gebraucht, da sich die temperierte Stimmung nicht gut mit den Orchesterinstrumenten mischen könne. Auch im Orchester verlangt Penderecki eine Vielzahl an verschiedenen Artikulationen und Methoden der Klangerzeugung (vgl. Erläuterungen zur Notation in der Partitur).

Rhythmus:
In der Lukaspassion werden zwei Arten der Notation verwendet: Der größere Teil des Werkes ist traditionell notiert, also mit dem Wert einer Viertel- oder Achtelnote als Grundschlag. Bei rhythmisch komplexeren Abschnitten wendet Penderecki die sogenannte „time-space-“ oder „Proportionalnotation“ an, wobei die Dauer durch die Platzierung des Notenkopfes innerhalb des Taktes ohne Angabe einer präzisen Tondauer vermittelt wird.

Tonhöhen:
- Penderecki mischt in der Lukaspassion Tradition und Moderne bei der Notierung von Tonhöhen. Folgende Besonderheiten finden sich im Werk vor:
- Höchster/tiefster erreichbarer Ton auf dem Instrument /
- Cluster
- Erhöhung um einen Viertelton
- Erhöhung um drei Vierteltöne
- Erniedrigung um einen Viertelton
- Erniedrigung um drei Vierteltöne

Musikalische Quellen:
Besonders zwei übernommene Melodien sind für Pendereckis Lukaspassion von großer Bedeutung: Zum einen das BACH-Motiv aus der letzten, unvollendeten Fuge der Sammlung „Die Kunst der Fuge“ von J. S. Bach, das in der Lukaspassion fast wie ein Leitmotiv wirkt. Es erscheint sowohl in der Originalform als auch im Krebs.
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Zum anderen ein „entlehntes“ Motiv aus dem polnischen Kirchenlied Świety Boże (Heiliger Gott). Laut Komponist sei diese Melodie die Quelle für die ersten vier Töne des cantus firmus I.
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Beide Motive markieren Anfang und Ende der zugrundeliegenden Zwölftonreihe:
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Quellen:

Robinson, Ray; Winold, Allen, „Die Lukaspassion von Krzysztof Penderecki“, Moeck Verlag, Celle, 1993
Müller, Karl-Josef, „Informationen zu Pendereckis Lukas-Passion“, in „Schriftenreihe zur Musikpädagogik“, Verlag Moritz Diesterweg, Frankfurt am Main, 1973
Partitur: Moeck Verlag,


Aufnahme / Partitur:

Zusammenstellung Richard Gilch